Blauer Kohlenstoff und Klimaschutz: Potenziale mariner Ökosysteme

Der Begriff blauer Kohlenstoff wird für Kohlenstoff verwendet, der in küstennahen und marinen Lebensräumen gespeichert wird, von tiefen Meeresböden bis hin zu flachen Salzwiesen. Diese Bereiche sind zwar als hocheffiziente Kohlenstoffsenken bekannt, da sie der Atmosphäre viel schneller Kohlenstoff entziehen als terrestrische Wälder1, allerdings hinkt ihr tatsächlicher Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels dem Hype womöglich hinterher. Dr. Craig Smeaton, Dozent für physische Geografie an der Universität St Andrews, greift diese Debatte auf und veranschaulicht das Thema mit Daten aus seiner Forschung.
Eintauchen ins Unbekannte
Ökosysteme mit blauem Kohlenstoff sind überall zu finden. Sie erstrecken sich entlang der Küsten und reichen bis in die Tiefen unserer Ozeane und Meere. Es ist allgemein anerkannt, dass diese Ökosysteme beträchtliche Mengen an Kohlenstoff speichern – aber wie effektiv sind sie bei der Bindung von mehr Kohlenstoff? Zu dieser Frage kommentiert Craig: „Ökosysteme mit blauem Kohlenstoff haben sicherlich Vorteile für das Klima, weil sie Kohlenstoff schnell binden. Allerdings ist die Menge an neu gebundenem Kohlenstoff relativ gering im Vergleich zu anderen natürlichen Speichern wie Mooren und Wäldern. Darüber hinaus ist nicht bekannt, wie viel Kohlenstoff tatsächlich aus der Atmosphäre gebunden wird. Im Gegensatz zu Wäldern und Mooren, die Kohlenstoff direkt aus der Atmosphäre aufnehmen, akkumulieren Salzwiesen beispielsweise auch Kohlenstoff aus der marinen und terrestrischen Umwelt. Der Meeresboden hingegen speichert überhaupt keinen atmosphärischen Kohlenstoff. Tatsächlich gibt es keine direkte Verbindung zur Atmosphäre. Vielmehr sinkt organischer Kohlenstoff aus abgestorbenen Pflanzen und Tieren auf den Meeresboden und wird dort in den marinen Sedimenten gespeichert.“
Laut unseren Schätzungen werden allein in den britischen Salzwiesen etwa 5 Mio. Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Vor unseren Forschungsaktivitäten lagen hierzu praktisch keine Daten vor. Aber jetzt haben wir ein viel besseres Verständnis, das bei der Umstrukturierung von Standorten – also bei der Schaffung neuer Lebensräume – und insbesondere beim Schutz bestehender Lebensräume von großem Nutzen sein kann.

Sequestrierung oder Umweltschutz?
Da die Fähigkeit von Ökosystemen zur Kohlenstoffsequestrierung nach wie vor ein viel diskutiertes Thema ist, sollte vielleicht mehr Gewicht auf den Schutz dieser Ökosysteme und des darin bereits gespeicherten Kohlenstoffs gelegt werden. Natürlich beschränken sich die Vorteile der Erschließung neuer Küstenlebensräume nicht allein auf die Kohlenstoffsequestrierung. Allerdings scheint es dringlicher zu sein, das Bekannte zu schützen, als etwas Neues zu schaffen, über dessen Sinn noch diskutiert wird. Craig ergänzt: „Küstenlebensräume wie Salzwiesen, Seegraswiesen und Mangrovenwälder sind durch den Anstieg des Meeresspiegels und anthropogene Einflüsse stark bedroht. Es besteht die Gefahr, dass der in diesen Systemen gespeicherte Kohlenstoff freigesetzt wird und es zu einem Verlust der Biodiversität sowie zu Überschwemmungen kommt. Das Wissen um die Menge an Kohlenstoff, die in diesen Systemen gespeichert ist, gibt uns daher einen größeren Anreiz, sie zu schützen. Laut unseren Schätzungen werden beispielsweise allein in den britischen Salzwiesen etwa 5 Millionen Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Vor unseren Forschungsaktivitäten lagen hierzu praktisch keine Daten vor. Aber jetzt haben wir ein viel besseres Verständnis, das bei der Umstrukturierung von Standorten – also bei der Schaffung neuer Lebensräume – und insbesondere beim Schutz bestehender Lebensräume von großem Nutzen sein kann.“
„Auch die Auswirkungen der Grundschleppnetzfischerei und die dadurch möglicherweise verursachte Freisetzung von gebundenem Kohlenstoff und damit Kohlendioxid in die Atmosphäre geben zunehmend Anlass zur Sorge. Meiner Einschätzung nach fällt das jedoch nicht allzu sehr ins Gewicht, da alles von der Reaktivität des freigesetzten Kohlenstoffs abhängt. Der Meeresboden in tieferen Gewässern besteht aus Sedimenten, die seit Jahrhunderten im Wasser schwimmen. In dieser Zeit wurden diese Sedimente zersetzt und haben ihre Reaktivität verloren, sodass die Risiken durch externe Einflüsse geringer sind. Relativ ruhige und tiefe Gewässer, wie das Schwarze Meer und die Fjorde in Neuseeland, Alaska, Chile, Kanada und Schottland, enthalten hingegen unglaublich reaktive Sedimente. Diese Systeme wirken wie riesige Sedimentfallen, in denen das Sediment schnell in tiefe, sauerstoffarme Gewässer absinkt und konserviert wird. Hierdurch werden biogeochemische Prozesse gehemmt und das Sediment bleibt hochreaktiv. Bei Störungen in diesen Ökosystemen besteht ein deutlich größeres Risiko. Glücklicherweise sind viele dieser Gewässer relativ abgelegen, sodass sie leichter zu schützen sind und als Meeresschutzgebiete ausgewiesen werden können. Die schottische Regierung verfolgt derzeit Pläne in diesem Zusammenhang.“

Vertiefung unseres Verständnisses
Craig erforscht diese Ökosysteme seit vielen Jahren und hat Proben aus verschiedenen Tiefen sowie aus Salzwiesen und vom Meeresboden gesammelt, um die Kohlenstoffbestände und Akkumulationsraten anschließend im Labor zu quantifizieren. Dies ist eine besondere Herausforderung, da Proben aus Meeres- und Küstenregionen sehr unterschiedlich sind und sich häufig sowohl aus organischen Kohlenstoffen von Lebewesen als auch aus anorganischen Kohlenstoffen zusammensetzen, wie z. B. Karbonaten aus geologischen Prozessen. Für genaue Ergebnisse müssen die organischen und anorganischen Kohlenstoffe voneinander getrennt werden, was oft mit aufwändigen Arbeitsschritten verbunden ist – wie etwa die Ansäuerung zur Entfernung von anorganischem Kohlenstoff. Hierbei werden die Proben mit Säure versetzt und das Ende der Reaktion abgewartet. Anschließend werden die Proben getrocknet und für die weitere Analyse vorbereitet, was etwa eine Woche dauert. Um diese Herausforderungen zu meistern, setzt man an der Universität St Andrews auf einen soli TOC® cube von Elementar. Dieser Analysator ist in der Lage, den gesamten organischen und anorganischen Kohlenstoff gleichzeitig zu messen und macht somit zeitaufwändige Vorbehandlungsschritte überflüssig. „Die Möglichkeit, mit dem Gerät beide Arten von Kohlenstoffverbindungen in einer Probe zu messen, ist für unsere Arbeit entscheidend und spart im Vergleich zu früheren Methoden viel Zeit“, erklärt Craig. "Seit der Installation im Jahr 2018 ist der Analysator praktisch rund um die Uhr im Einsatz und liefert zuverlässige Ergebnisse, was wirklich mehr als bemerkenswert ist.“
Zusammenfassung
Ökosysteme mit blauem Kohlenstoff werden als effiziente Kohlenstoffspeicher angesehen, denen häufig gar ein größeres Potenzial als terrestrischen Wäldern zugesprochen wird. Aber dank wichtiger Forschungsergebnisse hat sich nun gezeigt, dass hier noch viele Fragen offen sind. Küsten- und Meeresregionen sind in der Tat eine äußerst wichtige Kohlenstoffsenke. Wir sollten uns jedoch darauf konzentrieren, die großen Kohlenstoffbestände zu schützen, die in diesen Systemen bereits gebunden sind. Durch den Schutz dieser Lebensräume verhindern wir nicht nur die Freisetzung von Kohlenstoff, sondern leisten gleichzeitig einen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität sowie zum Schutz von Küstenregionen vor einem Anstieg des Meeresspiegels. Somit sollte der Fokus auf dem Schutz des bereits Vorhandenen liegen – und nicht darauf, noch mehr zu „schaffen“. Das klingt nach einer Win-Win-Situation für politische Entscheidungsträger und ist mit Sicherheit ein Gewinn für diese empfindlichen Ökosysteme, die unsere Aufmerksamkeit dringend benötigen.
Verweise
- Mcleod E, Chmura GL, Bouillon S, et al. A blueprint for blue carbon: towards an improved understanding of the role of vegetated coastal habitats in sequestering CO2. Frontiers in Ecology and the Environment. 2011;9: 552-560. https://doi.org/10.1890/110004